Afganischer Flüchtling als Auszubildender eingestellt
Ein Würzburger Bauunternehmen hat einen afghanischen Flüchtling als Azubi eingestellt
„Meine Arbeit ist für mich alles“
„Für uns ist es eine Art Pilotprojekt“, sagt Heike Kulhavy. Die Wirtschaftsingenieurin beim Bauunternehmen Georg Göbel, einem Unternehmen der Firmengruppe Göbel, blickt zu Farhat Nuri. Der 21-jährige Afghane, der aus seiner Heimat fliehen musste und seit zweieinhalb Jahren in Deutschland lebt, hat am 1. September eine Ausbildung zum Maurer bei dem Würzburger Unternehmen begonnen – und ist „mit vollem Engagement dabei“, sagt Kulhavy.
Das sei nicht selbstverständlich, erläutern sie und ihr Ehemann, Inhaber und Geschäftsführer Jochen Göbel. Gute Auszubildende zu finden, die die Lehre am Ende erfolgreich abschließen, sei in Deutschland heutzutage schwierig. Von dem ein oder anderen Azubi habe man sich in der Vergangenheit schon trennen müssen, da der Wille, den Beruf tatsächlich zu erlernen, in der Lehrzeit nicht erkennbar war. Umso mehr freut man sich bei dem mittelständischen Bauunternehmen nun über Nuris Einsatz.
Der junge Flüchtling aus Afghanistan will Maurer werden. Dass er dafür wegen der fremden Sprache mehr als einheimische Auszubildende büffeln muss, schreckt ihn nicht. Er ist froh über die Chance, die sich ihm bietet. Nach Deutschland kam Nuri nach eigener Aussage, weil er in seinem Heimatland Afghanistan nicht länger sicher war. Da er gut Englisch spricht, hatte sich der junge Mann aus Kandahar im Süden Afghanistans vor etwa drei Jahren um eine Stelle als Übersetzer bei den Amerikanern beworben.
Flucht nach Europa
Als die Taliban davon Wind bekamen legten die Islamisten ihm in einem Brief nahe, von seinem Vorhaben abzulassen. Als sein Vater das Schriftstück zur Polizei brachte, verschlimmerte das die Lage zusätzlich. Nuri wurde mit dem Tod bedroht. Ein halbes Jahr versteckte er sich zu Hause. Dann floh er nach Indien und be-stieg ein Flugzeug nach Deutschland, wo er Asyl beantragte.
Nach Zwischenstationen in Aufnahmeeinrichtungen in München und Aub wohnt Nuri inzwischen in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in der Veitshöchheimer Straße in Würzburg. Als sein Asylantrag vor einem halben Jahr abgelehnt wurde, hat er Widerspruch eingelegt, und wartet nun auf den Gerichtstermin. Wann der sein wird, ist ungewiss. Seine Ausbildung lenke ihn von der Grübelei über seine Situation ab, sagt Nuri. „Meine Arbeit ist für mich alles“.
Dass er es bis zum Maurerazubi geschafft hat, ist auch das Verdienst der Stadt Würzburg. Sie hat zum 1. Oktober 2015 das Programm BAF+X gestartet, an dem der Afghane teilnimmt. Von der Caritas war er vor zwei Jahren zunächst auf das Programm BAF für berufsschulpflichtige Asylbewerber und Flüchtlinge aufmerksam gemacht worden: Ein Jahr lang lernte er Deutsch an der Franz-Oberthür-Schule und besuchte im Anschluss das Berufsintegrationsjahr (BIJ), das mit der Handwerkskammer Service GmbH durchgeführt wird. Daran schloss sich nun weiterführend BAF+X an. Im BIJ absolvierte Nuri auf eigene Initiative hin ein einwöchiges Praktikum beim Bauunternehmen Georg Göbel. Im Praktikum werde unter anderem auf Pünktlichkeit, Sauberkeit der Berufskleidung und Verständnisfähigkeit gachtet, sagt Jochen Göbel. Polier Hermann Stürmer ergänzt: „Man merkt nach drei bis vier Tagen, ob einer wirklich will, oder nicht.“ Nuri wollte, und die Firma entschied sich für ihn als Lehrling.
Die einzigen Bedenken, die man im Vorfeld gehabt habe, hätten der Bürokratie gegolten, erklärt Kulhavy. „Das könnten wir als Mittelständler nicht leisten“, sagt die Wirtschaftsingenieurin mit Blick auf das weite Feld der Gesetzgebung zum Thema Asylbewerber. Die Bedenken haben sich jedoch in Luft aufgelöst.
Coach unterstützt
Denn mit dem Programm BAF+X wurde Nuri und der Baufirma ein Vermittlungs-Coach zur Seite gestellt. Die mit BAF+X von der Stadt Würzburg neu geschaffene 50-Prozent-Stelle bekleidet Barbara Hoffstadt von der Handwerkskammer Service GmbH, einem Tochterunternehmen der Handwerkskammer, das Dienstleistungen rund um Ausbildung und Beruf anbietet. Sie betreut in der Stadt die Absolventen des BIJ. Hoffstadt freut sich, dass das Bauunternehmen Göbel Nuri eine Chance gab. Das sei nicht selbstverständlich.
Als Vermittlungs-Coach kümmert sich Hoffstadt nicht nur um den bürokratischen Teil von Nuris Ausbildung. Sie unterstützt auch bei den „tausend Kleinigkeiten“, die der Afghane im Zuge der Ausbildung bewältigen muss. So organisiert sie zum Beispiel Fahrkarten oder Bettwäsche für den Blockschulunterricht für Maurer in Nürnberg. Sie hilft Nuri also „das ganze deutsche System zu bewältigen“.
Bei einem einheimischen Azubi würden in der Regel die Eltern unterstützen, meint Hoffstadt. Aus ihrer Erfahrung heraus gibt Kulhavy jedoch zu bedenken: „Die Familie fängt viel nicht mehr auf.“ Der Wirtschaftsingenieurin ist es wichtig zu betonen, dass Nuri keinem einheimischen Bewerber den Platz weggenommen hat. Mit drei weiteren jungen Männern hat er bei Göbel-Bau seine Ausbildung begonnen. Andere geeignete Bewerber gab es nicht.
Man könne Nuri wie jeden anderen Lehrling einteilen, erzählt Bauleiter Christian Schömig. Dabei hilft nicht nur, dass der afghanische Azubi sich nach den Blockschuleinheiten pünktlich zurückmeldet, sondern auch, dass er mittlerweile sehr gut Deutsch spricht. Am Anfang war die Sache mit der deutschen Sprache „sehr schwierig, ehrlich“, sagt Nuri. Das habe jedoch nicht alleine daran gelegen, dass er Deutsch erst lernen musste. Mit den fränkischen Dialektformen sei selbst die Verständigung zwischen einheimischen Arbeitern aus verschiedenen Dörfern mitunter schwierig, sagt Polier Stürmer und schmunzelt.
Dass Nuri Afghane ist, macht für ihn keinen Unterschied: „Bei uns auf der Baustelle geht es nach der Arbeit, die geleistet wird“ und „in welche Richtung du die Gebete richtest, ist außen vor, das hat mit der Baustelle nichts zu tun“. Mit Nuris Arbeit ist Stürmer zufrieden. Nur daran, dass die Schuhe am Montag sauber sein müssen, müsse er den neuen Auszubildenden gelegentlich noch erinnern, sagt er mit einem Augenzwinkern. Das sei aber bei einheimischen Azubis oft nicht anders.
Kein Mehraufwand
Beim Bauunternehmen Georg Göbel hofft man, dass sich das Pilotprojekt im Betrieb zum Selbstläufer entwickelt: „Das positive Beispiel öffnet für uns jetzt den Weg“, sagt Kulhavy. „Wenn es weiter so gut läuft, dann werden wir auch im nächsten Jahr wieder einen Flüchtling einstellen.“ Sie und ihr Mann könnten das anderen Betrieben durchaus empfehlen. Zusätzlicher Aufwand bestehe nicht – auch dank der Arbeit von Vermittlungs-Coach Hoffstadt.
Und Nuri? Wenn der junge Mann, der in der Berufsschule Einser und Zweier schreibt, seine Chance weiterhin gut nutzt und seine Ausbildung erfolgreich abschließt, hat er bei dem Würzburger Bauunternehmen gute Zukunftschancen. Denn dort bildet man für den eigenen Betrieb aus – und sieht die Zuwanderung als Chance, um an gute Fachkräfte zu kommen. Denn die sind oft Mangelware.